Sven Giegold
Mitglied der Grünen/EFA-Fraktion im Europaparlament

Sprecher Europagruppe Grüne

Lobbytransparenz: Europaparlament steht vor wichtigster Entscheidung in dieser Legislatur

Sehr geehrte Journalistinnen und Journalisten,

liebe Freundinnen und Freunde,

Am Donnerstag, 31. Januar, stimmt das Europaparlament über eine Reform seiner Geschäftsordnung ab. Diese Abstimmung wird die wichtigste Entscheidung über Lobbytransparenz dieser Legislatur sein. Bisher wurden Empfehlungen für freiwillige Lobbytransparenz der Europaabgeordneten meist ignoriert. Nun ist ein verpflichtender legislativer Fußabdruck in greifbarer Nähe. Im legislativen Fußabdruck dokumentieren Berichterstatter von Gesetzgebungsvorhaben, Schattenberichterstatter und Ausschussvorsitzende, welche Lobbyisten sie zu einem Bericht getroffen haben. Wenn der Lobbyismus mächtiger Interessen transparent wird, lässt sich auch ihr Einfluss einhegen. Das wäre ein Meilenstein für die europäische Demokratie. Nichtregierungsorganisationen wie Transparency International oder ALTER-EU, tausende Bürgerinnen und Bürger und der Parlamentsbeschluss über Transparenz, Rechenschaftspflicht und Integrität in den EU-Institutionen fordern dies seit Jahren. Es ist höchste Zeit, dass Bürgerinnen und Bürger erfahren können, welche Lobbyisten die Abgeordneten beim Schreiben neuer EU-Gesetze beeinflussen.

Bei der Abstimmung über den verpflichtenden legislativen Fußabdruck droht die bittere Ironie, dass über Transparenz geheim abgestimmt wird. Die Fraktion der Christdemokraten hatte in einer schlecht besuchten Sitzung vor zwei Wochen entschieden, für die Lobbytransparenz geheime Abstimmung zu beantragen. Das Parlament hat die sonst unstrittige Tradition wichtige Fragen transparent in namentlicher Abstimmung zu treffen. Wir fordern von den Christdemokraten, ihren Beschluss zurückzuziehen und zu ihrem Abstimmungsverhalten auch öffentlich zu stehen.

 

Bei der Reform der Geschäftsordnung sind aber noch weitere wichtige Fragen zu entscheiden:

Als Reaktion auf die #metoo-Debatte hat das Parlamentspräsidium einen Verhaltenskodex gegen sexuelle Belästigung beschlossen. Im Verhältnis zu Mitarbeitern verpflichten sich die Abgeordneten, beleidigende oder herabsetzende Sprache zu unterlassen. Sollte es zur Untersuchung von Vorwürfen kommen, verpflichten sich Abgeordnete, schnellstmöglich zu kooperieren. Obwohl dies von einer Arbeitsgruppe aller Fraktionen so im Konsens beschlossen wurde, stellen Christdemokraten die Verbindlichkeit dieser neuen Regeln in Frage. Sie wollen eine getrennte Abstimmung, ob tatsächlich niemand eine Zusatzfunktion im Parlament übernehmen darf, der den Verhaltenskodex nicht unterzeichnet hat. Aktuell ist unklar, ob der Wunsch der Christdemokraten nach geheimer Abstimmung auch für diese Entscheidung gilt. Es darf keine Koalition von Parlaments-Machos im Geheimen geben.

Das Plenum entscheidet ebenfalls, ob die Transparenz der Ausgaben von Abgeordneten aus ihrer allgemeinen Kostenpauschale (General Expenditure Allowance) endlich vergleichbar wird. Bisher ist kaum zu prüfen, ob Abgeordnete Belege für die Verwendung der monatlich 4.416 Euro aufheben und sich an die Regeln halten. Zur Abstimmung steht, dass Abgeordnete auf ihren online-Profilen der Parlaments-Website die Bestätigung eines Rechnungsprüfers einstellen können. Die einfache Vergleichbarkeit würde den Druck zur Einhaltung der Regeln deutlich erhöhen.

Neue Änderungsvorschläge zu den Regeln für die Bildung von Fraktionen im Parlament hatten zur Verschiebung der ursprünglich schon Mitte Januar angesetzten Abstimmung auf den 31. Januar geführt. Die Grünen konnten den Konflikt in Verhandlungen mit Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen aber inzwischen weitgehend lösen. Die Grünen hatten den Vorschlag der anderen abgelehnt, dass eine neue Fraktion die Erlaubnis der anderen Fraktionsvorsitzenden braucht. Statt im Hinterzimmer der Fraktionsvorsitzenden-Konferenz soll nun aber transparent das Plenum entscheiden. Die Grüne Fraktion wird nach genauer Prüfung des Kompromissvorschlags das Abstimmungsverhalten in der Fraktionssitzung beschließen.

115 Tage vor der Europawahl kann das Europaparlament bei seiner Reform der Geschäftsordnung den Ton setzen. Die Farce einer geheimen Abstimmung über Transparenz von Lobbyismus und Abgeordnetenausgaben wäre ein gefundenes Fressen für neue populistische Attacken der Feinde Europas. Ein Ja des Plenums zu mehr Transparenz für Lobbyismus und Abgeordnetenausgaben würde zeigen: Eine starke Europäische Demokratie erfüllt die Erwartungen ihrer Bürgerinnen und Bürger.

 

Mit grünen europäischen Grüßen

Sven Giegold

 

HINTERGRUND

Lobbytransparenz Grüner Europaabgeordneter: https://lobbycal.greens-efa-service.eu/all/