Sven Giegold
Mitglied der Grünen/EFA-Fraktion im Europaparlament

Sprecher Europagruppe Grüne

Interview mit der Sparkassen Zeitung: Keine Nachteile für die Kleinen

Sparkassen Zeitung, 31. März 2014

Keine Nachteile für die Kleinen

von Bettina Wiess

Sven Giegold (Die Grünen) setzt sich dafür ein, dass die Bankenaufsicht künftig nach Größe und Risiko gestaffelt wird.

Herr Giegold, Sie verlangten in dieser Legislaturperiode auf EU-Ebene bei der Behandlung der Aufsichtsthemen in den Bereichen Banken, Versicherungen und Märkten auch die Wahrung des Proportionalitätsprinzips. Woran machen Sie Proportionalität fest?

Sven Giegold: Vereinfacht gesagt bedeutet Proportionalität, dass man eine Großbank anders beaufsichtigen und regulieren muss als eine kleine Sparkasse – die Risikolage ist eine andere und auch die Gefährdung des Finanzsystems ist unterschiedlich. Das Ausmaß an Berichten, die Komplexität von Berechnungsmethoden und die Frequenz von Prüfungen muss nach Größe und Risiko gestaffelt sein.

Die Sparkassen befürchten, dass die EZB als oberste Bankenaufsichtsbehörde die Tendenz zur Standardisierung haben wird und dass daraus folgt, dass solche Unterschiede nicht mehr gemacht werden. Teilen Sie diese Sorge?
Giegold: Ich habe persönlich durchgesetzt, dass bei der Übertragung von Aufsichtskompetenzen auf die EZB festgelegt wurde, dass kein Druck in Richtung einer Übernahme von IFRS ausgeübt werden darf. Auch hier gilt wieder das Proportionalitätsprinzip. Das bedeutet, dass an eine Großbank andere Anforderungen an eine Bilanzierung gestellt werden müssen als an ein kleines Institut. Kleinere Banken dürfen bei den Eigenkapitalanforderungen mindestens nicht benachteiligt werden, zumal wenn man sieht, dass es sich bei den von den Großbanken angewendeten komplexen Risikomodellen sehr oft um Science Fiction handelt.

Wie meinen Sie das?
Giegold: Solche Modelle fallen alle in sich zusammenfallen, sobald ein Schock von außen eintritt. Deshalb bin ich bei diesen komplexeren Risikomodellen sehr skeptisch. Vergleichsstudien haben gezeigt, zu welch unterschiedlichen Einschätzungen die verschiedenen internen Modelle kommen. Mehr Einfachheit und weniger Abhängigkeit von komplexen Annahmen tun der gesamten Steuerung besser.

Damit greifen Sie die These auf, dass die Erhöhung de Eigenkapitals bei Großbanken sehr viel damit zu tun hat, dass deren Risikomodelle verändert wurden.
Giegold: Richtig und deshalb kann ich auch nicht so recht verstehen, warum gerade die konservativ orientierten Sparkassen und Genossenschaftsbanken so skeptisch sind gegenüber Ansätzen, die die Risikobewertung eher pauschalisieren wollen.

Sie meinen die Leverage Ratio als risikoungewichtete Verschuldungsregel?
Giegold: Ja, denn gerade die kleineren Banken verfügen meist über viel Eigenkapital. Kaum ein Institut hat mit einer dreiprozentigen Leverage Ratio, wie wir sie jetzt zunächst als Beobachtungskennziffer unter Basel III haben, ein Problem. Und ein Institut, das damit ein Problem hat, sollte dringend etwas ändern. Das extreme Hebeln ist in der Regel die Praxis von Investmentbanken und nicht von kleineren Instituten. Wir alle subventionieren das indirekt.

Kleinere Banken haben schon ein Problem mit dem Sprachenregime der EZB.
Giegold: Das darf nicht passieren, denn in der Kommunikation zwischen EZB und Banken gelten die Regeln der EU, so dass man in allen Sprachen der Union gleichberechtigt mit dem neuen Aufseher kommunizieren können muss. Wir werden auch darauf achten – dazu habe ich bereits diverse Fragen an die EZB übermittelt – dass diese Regeln eingehalten werden. Ich lade ausdrücklich die betroffenen Kreditinstitute ein, mir kritische Rückfragen und Erfahrungen zukommen zu lassen, die ich gerne bei der EZB zur Sprache bringen werde.

Eine ebensolche Einladung hatten Sie auch bei den Regulierungsstandards der EBA ausgesprochen. Wie sieht nach ihren Erfahrungen hier das Feedback aus?
Giegold: Ich bekomme immer wieder interessante Hinweise. Auf meinem Expertenverteiler, der allen offen ist, finden sich viele Akteure auch aus Banken, der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft, die mir wertvolle Informationen, teilweise auch aus der Praxis, geben. Auch vor Anhörungen des Europäischen Parlaments oder vor schriftlichen Fragen frage ich meinen Expertenverteiler um Rat. Dieses Vorgehen halte ich für eine moderne Form der Wahrnehmung eines solchen Abgeordnetenmandats.

Mehr Europa wird bei vielen Themen von den Sparkassen sehr kritisch gesehen. Ein Beispiel ist Ihre Forderung nach einer schnelleren Vergemeinschaftung der nationalen Kammern des EU-Abwicklungsfonds, der sogenannten Compartments. Warum ist das aus Ihrer Sicht notwendig?
Giegold: Die Sparkassen und Genossenschaftsbanken zahlen in Deutschland auch in die Bankenabgabe ein und sind damit in einem Gemeinschaftshaftungsverbund mit den privaten Banken. Die nationale Grenze hat in diesem Zusammenhang überhaupt keinen Sinn. Die Deutsche Bank, die Commerzbank, die DZ-Bank und Spitzeninstitute der Sparkassen-Finanzgruppe sind auch in Europa unterwegs. Es wäre eine künstliche Grenze, wenn man jetzt eine Bankenabgabe auf nationaler Ebene beließe. Zudem sind kleinere, nationale Versicherungslösungen immer teurer, als wenn man in einer breiteren Aufstellung die Kosten teilt. Deshalb hat für mich die ursprüngliche Vergemeinschaftungszeit für den Abwicklungsfonds von zehn Jahren auch keinen Sinn ergeben, denn wir beschädigen damit möglicherweise die Bankensysteme der Staaten in der Übergangszeit, wenn eventuell schon überschaubare Bankenschieflagen in kleineren Ländern zu massiven Problemen führen. Dagegen brauchen wir jetzt eine größere Versicherungslösung, um für Stabilität zu sorgen.

Wie sehen Sie den über den Abwicklungsmechanismus erzielten Kompromiss mit einem Aufbau des Fonds innerhalb von acht Jahren und der abgestuften Vergemeinschaftung der Mittel aus den Compartments?
Giegold: Es war ein Europäischer Kompromiss. Acht Jahre wird es nationale Compartments geben, viel länger als das Europarparlament wollte. Dafür werden aber in den ersten beiden Jahren bereits 60 Prozent der Compartments vergemeinschaftet und nicht nur 20 Prozent wie es der Rat der Mitgliedsländer wollte. Das ist genug Zeit, um das Problem fauler Altschulden in den Bilanzen mancher Banken zu lösen.

Sie wollen kleinere Staaten und Banken schützen. Aber Sparkassen werden bei den diskutierten Beiträgen für den EU-Bankenabwicklungsfonds alles andere als geschützt, man bürdet ihnen ohne Grund zusätzliche Lasten auf. Wo bleibt hier der Schutz?
Giegold: Ich trete ganz entschieden dafür ein, dass das Proportionalitätsprinzip bei der Befüllung des Abwicklungsfonds gewahrt bleibt. Wer also hohe Risiken für die Versicherung einbringt, muss mehr zahlen als jemand, der nur geringe Risiken einbringt. So steht es auch auf Druck der Grünen in der EU-Abwicklungsrichtlinie. Ich beobachte mit Befremden, dass bei der Ausgestaltung des europäischen Fonds von risikoreicher finanzierten Großbanken, wie wir sie in Frankreich oder in den Niederlanden haben, der Versuch unternommen wird, sich indirekt über höhere Beiträge von risikokonservativen Banken subventionieren zu lassen. Hier muss ganz strikt auf die Risikoproportionalität der Beiträge geachtet werden. Das wurde auch bei der deutschen Bankenabgabe erreicht, und das muss jetzt auch für die europäische Variante gelten.

Der derzeit diskutierte Sockelbeitrag würde aber alle Banken gleich treffen und einer solchen Differenzierung zuwiderlaufen.
Giegold: Genau das wäre absolut daneben und widerspräche auch der europäischen Abwicklungsrichtlinie. Ich werde mit aller Kraft gegen solche Vorschläge kämpfen.

Bei der deutschen Bankenabgabe hat man eine Freibetragsgrenze. Unterstützen Sie eine solche Regelung auch beim europäischen Abwicklungsfonds?
Giegold: Ich unterstütze die Forderung nach einem Freibetrag in einer Größenordnung von etwa 500 Millionen Euro der Bilanzsumme. Wir haben ein Interesse daran, dass es mehr kleinere Banken und damit auch einen größeren Wettbewerb gibt. Wir sehen in manchen EU-Ländern, wohin die andere Tendenz führt – zu Oligopolen und Bereichen der Wirtschaft, die nicht mehr mit Krediten versorgt werden. Wir können froh sein, wenn wir viele kleinere Banken haben, deshalb ist ein Freibeitrag auch ordnungspolitisch angemessen.

Bündnis90/Die Grünen positionieren sich mit Ihnen und Frau Harms mit einer gleichberechtigten Frau-Mann-Doppelspitze für die Europawahl. Auch ein Zeichen für Proportionalität?
Giegold: So habe ich das noch gar nicht gesehen. Aber wenn Sie so wollen… Wir sind im Europäischen Parlament die einzige Parteinfamilie, bei der Frauen einen Anteil von 50 Prozent in der Fraktion stellen. Die Quote hat das erreicht, und sie soll deshalb auch an der Spitze sichtbar sein.

Wenn Sie die Zeit an den Beginn der Legislaturperiode zurückdrehen könnten: Was würden Sie anders machen?
Giegold: Ich habe mich sehr im Econ-Ausschuss eingegraben und fast nur Wirtschafts- und Finanzmarktpolitik gemacht. Im Nachhinein habe ich ein bisschen Sehnsucht nach mehr Ökologiepolitik. Und ich möchte mehr Zeit darauf verwenden, über Wirtschafts- und Währungspolitik in einem breiteren Kontext nachzudenken. Was ist gutes Wirtschaften für alle? Wie bringen wir die Endlichkeit des Planeten zusammen mit Wohlstand?

Und Ihre Arbeit im Econ?
Giegold: Ich will im Ausschuss bleiben, aber ohne die ausschließliche Fokussierung auf die Details der Regelungen. Das kann ich als gute Mitteilung für einige Lobbyisten schon mal verkünden.

Das heißt, die Lobbyisten werden sich dann bei Ihnen nicht mehr ganz so häufig die Klinke in die Hand geben?
Giegold: Das war schon bisher nicht so. Aber es heißt vor allem, dass sich einige vielleicht nicht mehr ganz so viel über mich ärgern müssen.

Rubrik: Wirtschaft & Währung

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