Sven Giegold
Mitglied der Grünen/EFA-Fraktion im Europaparlament

Sprecher Europagruppe Grüne

Holt die Flüchtlingskinder von den Inseln!

Foto: Tim Lüddemann

Liebe Freundinnen und Freunde,

Liebe Interessierte,

direkt vor dem Weihnachtsfest tobt eine Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingskindern aus den überfüllten griechischen Flüchtlingslagern. Erst vor drei Tagen hat Robert Habeck gefordert, 4.000 Kinder aus den Lagern in Deutschland aufzunehmen. Das wäre eine große Geste der Humanität und der Verteidigung der Werte, auf denen Europa gründet. Nun wird ihm vorgeworfen, er habe diese Debatte aus „PR-Gründen“ angezettelt. Und deshalb bitte ich Euch und Sie auch in diesen Tagen um Unterstützung.

Zunächst ist natürlich eigentlich zweitrangig, ob eine humanitäre Forderung PR-Gründe hat oder nicht, wenn sie in der Sache richtig ist. Doch der Vorwurf ist auch in der Sache falsch. Denn es waren unsere Kirchen und die Vereinten Nationen (UN), die das Thema Flüchtlingskinder auf die Agenda gesetzt haben. Am 14.12. feierten Kardinal Marx und Bischof Heinrich Bedford-Strohm einen eindrücklichen Gottesdienst in München und forderten mehr Einsatz für Flüchtlinge. Am 17.12. verlangten die Vereinten Nationen mehr Einsatz für Flüchtlingskinder weltweit. Am 19.12. verlangte der Papst Schutz für Flüchtlinge gerade im Mittelmeer. Er traf die 33 besonders Schutzbedürftigen, die der kleine Vatikan-Staat gerade aus Griechenland aufgenommen hatte. Und schließlich ließ er an einem Eingang ein eindrückliches Kreuz aufhängen, das eine Rettungsweste trägt. Sehr viele Besucher*innen seines Palasts müssen nun – ob sie wollen oder nicht – an diesem Kreuz vorbei.

Verstörend in der Weihnachtszeit ist also nicht, dass Robert Habeck für die Grünen auf diese eindringlichen Forderungen der Kirchen reagierte. Verstörend ist, wer alles schwieg oder die kalte Schulter zeigte. Schon am 18.12., einen Tag nach dem Votum der Vereinten Nationen, lehnte Bundeskanzlerin Merkel zusätzliche deutsche Anstrengungen für die Flüchtlingskinder in Griechenland ab. Die Regierungsparteien blieben lange weitgehend stumm. Daher ist gut, dass nun durch Habecks Vorstoß eine öffentliche Diskussion entstanden ist. Die Bundesländer Berlin und Thüringen haben, ebenso wie Baden-Württemberg sowie zahlreiche Kommunen, angekündigt, dass sie Flüchtlingskinder aufnehmen würden, wenn die Bundesregierung sie nur ließe.

Deshalb gilt es nun: Lasst uns alles tun, um die Zustände in den griechischen Flüchtlingslagern zu verbessern. Direkt im neuen Jahr werden wir in Brüssel als Grüne einen neuen Anlauf starten, um die Durchsetzung europäischen und internationalen Flüchtlingsrechts an den Außengrenzen und in den Lagern zu erreichen. Es ist gut, wenn die EU-Kommission von den Mitgliedsländern die Aufnahme von Flüchtlingskindern aus den Lagern unterstützt. Sie muss aber auch Vertragsverletzungsverfahren gegen Staaten priorisieren, die grundlegende Standards nicht einhalten, selbst wenn materielle und personelle Hilfe anderer Staaten zur Verfügung steht. In jedem Falle ist es aber moralisch inakzeptabel, Flüchtlinge und Kinder in Lagern leiden zu lassen und ihre Menschenrechte zu missachten, um sogenannte „Sogeffekte“ und Fehlanreize zu vermeiden. Selbstverständlich brauchen wir weiterhin eine gemeinsame Grenzsicherung und ein gemeinsames solidarisches System zur Aufnahme von Flüchtlingen mit Verteilungsquoten, wie es das Europaparlament mit breiter Mehrheit (nur gegen die Rechtspopulisten und Rechtsextremen) gefordert hat. Der Gesetzesvorschlag liegt auf dem Tisch der Mitgliedsländer und wartet zumindest auf eine Koalition williger Staaten, um ihn zu beschließen. Aber das Fehlen einer solchen gemeinsamen, fairen und an den Menschenrechten sowie Ordnung orientierten Flüchtlingspolitik rechtfertigt niemals, das Leiden der Menschen in den griechischen Lagern als notwendiges Übel hinzunehmen. Deutschland kann sich die Aufnahme von 4.000 Flüchtlingskindern leisten und sollte zumindest hier auf die Stimme der Kirchen, der engagierten Kommunen und Bundesländer und der vielen engagierten Bürgerinnen und Bürger hören.

Meine Bitte daher auch in diesen Tagen: Bitte postet in den sozialen Medien und schreiben Sie Leserbriefe, sprecht mit Freundinnen und Freunden über dieses Thema. Unsere Herzen dürfen sich nicht schließen. Menschenrechte, für die lange gestritten wurde, dürfen wir nicht räumen. Vielen Dank für jedes Wortergreifen!

 

Mit europäischen Grüßen wünsche ich ein frohes Weihnachtsfest

Euer und Ihr Sven Giegold

 

P.S.: Herzlichen Dank für die vielen Spenden auf meine letzte Rundmail zum EKD-Flüchtlingsschiff hier: https://www.united4rescue.com/

 

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Quellen:

Ökumenischer Trauergottesdienst für Opfer Flucht über das Mittelmeer (14.12.2019):

https://www.evangelisch.de/inhalte/163614/14-12-2019/bischoefe-bedford-strohm-und-marx-gedenken-toter-fluechtlinge

 

Bundeskanzlerin Merkel lehnt Aufnahme von Flüchtlingskindern ab (18.12.2019):

https://www.evangelisch.de/inhalte/163746/18-12-2019/aufnahme-von-fluechtlingskindern-merkel-reagiert-zurueckhaltend

 

Das eindrückliche Kreuz im Vatikan:

https://www.news1.news/2019/12/the-pope-remembers-the-dead-migrants-a-life-jacket-on-the-cross.html

 

Kretschmann: Baden-Württemberg würde Flüchtlingskinder aufnehmen

https://www.esslinger-zeitung.de/region/baden-wuerttemberg_artikel,-kretschmann-wuerde-fluechtlingskinder-aufnehmen-_arid,2301393.html

 

EKD / Bedford-Strohm fordert Aufnahme von Flüchtlingskindern (23.12): https://www.evangelisch.de/inhalte/164283/23-12-2019/ekd-ratsvorsitzender-fordert-humanitaere-loesung-fuer-fluechtlingskinder

 

EU-Kommission fordert Aufnahme von minderjährigen Flüchtlingen:

https://www.zeit.de/news/2019-12/24/eu-kommission-fordert-aufnahme-minderjaehriger-schutzsuchender